Die Landeskunstschule Hamburg markiert nach dem Krieg einen Neuanfang. Aus verschiedenen Angeboten wählte Marcks den Ruf an diese Akademie. Jetzt wird er, politisch unbelastet und als Altmeister der figürlichen Plastik anerkannt, zu einem der wichtigsten Gestalter öffentlicher Denk- und Mahnmale.
Sitzende Leserin, 1976
1950 erfolgt eine letzte Veränderung nach Köln. Dort baut ihm die Stadt Köln ein Atelierhaus, das er auf Lebenszeit kostenlos nutzen kann. Marcks wird als Vertreter der deutschen Bildhauerei auf die Biennale in Venedig (1952) und die Documenta in Kassel (1955, 1959) eingeladen. Unterbrochen von Studienreisen nach Afrika und Amerika vollendet er hier bis in das hohe Alter von 92 Jahren sein reiches Spätwerk. Neben stehenden und sitzenden arbeitet Marcks wiederholt an liegenden Figuren in den frühen 60er-Jahren.
„Man hat mich als Expressionisten gelten lassen, als Entarteten gebrandmarkt, als Klassizisten beiseite gelegt und als Realisten wieder hergeholt“. Diese denkbar kurze und prägnante autobiografische Bemerkung stammt aus der Feder von Gerhard Marcks (1889–1981) — einem der bedeutendsten Bildhauer des 20. Jahrhunderts. Sein Œuvre befindet sich seit über vierzig Jahren in der Obhut der Gerhard-Marcks-Stiftung: Das dazugehörige Museum, Gerhard-Marcks-Haus, ist damit eine der größten Einkünstlersammlungen weltweit.
Spanische Tänzerin, 1951
Charakteristisch für Marcks ist, dass er in seinen Werken immer Gegensätze miteinander verbindet. Es gelingt ihm, die wilde, oft chaotisch anmutende Vielfalt der Natur in ruhigen, kubischen Formen darzustellen. Die Mischung aus Geometrie und Gefühl macht seine Skulpturen unverwechselbar.
Von 1925 bis 1933 arbeitet Gerhard Marcks an der Gewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle an der Saale, dort zuletzt als Direktor. Zunächst hatte er ein Lehramt für Bildhauerei inne. Hier findet er zu einer neuen Formensprache. Der expressionistische Ausdruck seiner Skulpturen aus den frühen 20er-Jahren weicht einem natürlichen Menschenbild, das in klaren und strengen Formen aufgebaut ist. Er gestaltet seine Skulpturen nach mathematisch bestimmten Formprinzipien, zunächst blockhaft, wie bei der „Betenden“, dann immer wirklichkeitsnäher, ohne jedoch ein Abbild zu geben.
Kleine Danae, 1937
Die „Thüringer Venus“, die man auch als Eva mit Apfel auffassen könnte, stellt kein Porträt dar – sie ist Sinnbild für Weiblichkeit. Er beginnt in Stein zu arbeiten und wagt sich an große Formate. Auch die Bronzen gewinnen an Monumentalität.
Marcks Reise nach Griechenland (1928) ist für ihn und die Begegnung mit der archaischen Plastik ein Schlüsselerlebnis, das sein gesamtes Werk prägen sollte. Sein eigenes Anliegen, das Wesen menschlicher Existenz in knappe Formeln zu fassen und allein durch ruhige, in sich ruhende Körper zum Ausdruck zu bringen, sieht er hier verwirklicht.
Von den nationalsozialistischen Machthabern wird Marcks wegen seines Eintretens für seine jüdische Kolleginnen Trude Jalowetz und Marguerite Friedländer-Wildenhain aus seinem Amt in Halle entlassen und sein Werk als „entartet“ verfemt.
Gerhard Marcks bei der Arbeit an der Betenden, 1927/28
Nach einer Ausstellung in der Berliner Galerie Buchholz (1937) wird ihm ein Arbeitsverbot angedroht. Mit seiner Frau und seinen fünf Kindern zieht er sich für die nächsten Jahre in sein Sommerhaus nach Niehagen an der Ostsee zurück und lebt in einer Art „innerer Emigration“. 1943 fällt der älteste Sohn Herbert, das Berliner Atelier wird durch einen Bombentreffer vollständig zerstört.
Ab 1919 wird Gerhard Marcks Lehrer am Weimarer Bauhaus. Architekt Walter Gropius beruft ihn zum künstlerischen Leiter der Keramikwerkstatt in Dornburg und seitdem verantwortet er die Ausbildung der Keramiker.
Frau mit Säugling, 1919
Der Leitgedanke des frühen Bauhauses (bis 1923) liegt auf der Verbindung von Kunst und Handwerk. Ausgehend von den traditionellen Vorbildern werden dort einfache Formen, die aus klar gegliederten Bestandteilen aufgebaut sind, für eine spätere Serienproduktion erprobt.
Meist sind die Motive, ebenso wie bei seinen gleichzeitig entstehenden Holzschnitten und Skulpturen, der ländlichen Umgebung und bäuerlichen Arbeitswelt entnommen. Kritisch und intensiv setzt sich Marcks mit den Kunstströmungen auseinander, mit denen er am Bauhaus in Berührung kommt: mit Kubismus, Expressionismus und Abstraktion, mit der Kunst der Naturvölker und der frühen Hochkulturen. Er bewundert seine Kollegen Paul Klee und vor allem Lyonel Feininger, von dem er entscheidende Anregungen für den Holzschnitt erhält.
Liegende Kuh, 1924
Seine Figuren, sehr häufig als „Urbilder“ oder „Idole“ aufgefasste Mütter mit Kindern, formt und schnitzt er überwiegend aus Ton und Holz. Eine Anzahl von Skulpturen aus Holz ist damals entstanden, die zu seinen bekanntesten und bedeutendsten Werken gehören und dem späten Expressionismus zuzurechnen sind. Die Skulpturen sind betont kubisch oder betont flächig angelegt, bis hin zum Relief.
Schon als Schüler illustriert Gerhard Marcks selbstgeschriebene Indianergeschichten und zeichnet die Tiere im Zoo. Er beschließt Bildhauer zu werden, lehnt aber die Ausbildung an der Akademie ab und zieht in das Atelier des zehn Jahre älteren Malers und Bildhauers Richard Scheibe.
Altärchen 1920
Früh beteiligt sich Marcks mit Kleinbronzen, vor allem mit Tierfiguren – der Tierplastiker August Gaul ist sein Vorbild – an den Ausstellungen der Berliner Secession. Gemeinsam mit Scheibe betreibt Marcks Anatomie- und Aktstudien. Der Aufbau des menschlichen Körpers steht im Mittelpunkt. Die Stehenden, Liegenden oder Sitzenden haben kein Thema, sie zeigen den Menschen in seiner natürlichen Bewegung.
1914 heiratet er Maria Schmidtlein, noch am gleichen Tag wird er als Soldat an die Westfront geschickt. Im Winter kommt er schwerkrank aus dem Krieg zurück. Ab 1915 besucht er erstmals Unterwurflehen, ein bäuerliches Anwesen auf dem Obersalzberg, das sich im Besitz der Familie seiner Ehefrau befindet.
Weihnachtskrippe um 1917
Im Rückblick beschreibt er seine regelmäßigen Besuche im Berchtesgadener Land zwischen 1915 bis 1932 als Fahrten ins Paradies. Zahlreiche Zeichnungen entstehen auf dem Berg; Figuren- und Landschaftsstudien, die Vorlagen für bildhauerische Werke, Holzschnitte und Radierungen werden.
Seine Themen erschließt sich Gerhard Marcks aus seiner direkten Umgebung, innerhalb des Porträts, der christlichen Religion und der griechischen Mythologie. Nie wirken seine Figuren heroisch oder von Pathos beladen, sondern spiegeln menschliche Grundstimmungen, manchmal auch eine leise Verhaltenheit wider. Neben Versuchen in Stein blieb ihm die Bronze seit der zweiten Hälfte der Zwanzigerjahre das bevorzugte Material.
Beim Klicken auf die Bilder öffnet sich
die Bildergalerie mit mehr Informationen.
Thüringer Mutter 1923
Am Bauhaus entdeckte Marcks 1919 die Technik des Holzschnitts. Angeregt durch die mittelalterliche Kunst und durch seinen Kollegen Lyonel Feininger setzte der Künstler sich intensiv mit den Möglichkeiten des Mediums auseinander. Drei ästhetische Entscheidungen waren dabei wichtig. Erstens ging es Marcks darum, neben seiner Tätigkeit als Lehrer und Bildhauer frei experimentieren zu können. Zweitens ist der Holzschnitt eine relativ einfache Technik, mit der ein Künstler ohne aufwändige technische Hilfsmittel arbeiten kann. Dies entsprach Marcks‘ damaligen Vorstellungen von der Verbindung zwischen Handwerk und Kunst. Über Jahre erarbeitete er sich eine eigene unverwechselbare Sprache zwischen Linien – und Flächenholzschnitt. Drittens zwingt die Technik zu einer vereinfachten Bildsprache, wie Marcks – und viele seiner Zeitgenossen – sie suchten. Dabei ging es darum, diese neue Form in der Auseinandersetzung mit dem Material zu finden. Mit dem Abschied von dem Bauhaus hört die Beschäftigung mit der Technik Holzschnitt vorerst auf. Zwischen 1925 und 1935 konzentriert der Künstler sich auf die Bildhauerei, entdeckt in diesen Jahren auch die Techniken Radierung und Lithografie, die eine größere Nähe zu seinen Zeichnungen besitzen.
Seit den späten 1920er-Jahren überlegt Marcks einen Holzschnittzyklus zu fertigen. Inspiration dazu ist Aristide Maillol und während der französische Bildhauer arkadische Hirtenszenen schuf, entwickelt Marcks eine Reihe um die tragische Gestalt des Orpheus, die 1947 erscheint. Für Marcks wird der Holzschnitt zum zentralen Medium, wenn es darum geht, Geschichten zu erzählen; genau das, was er in der Bildhauerei verabscheut.
In den späten 1960er-Jahren beschäftigt sich der Künstler verstärkt mit dem Medium der Lithografie. Während der Holzschnitt von scharfen Kontrasten bestimmt wird, ermöglicht das Zeichnen auf Kreidestein oder Zink weiche Übergänge. Genauso wie im Fall der Holzschnitte fünfzig Jahre früher, entwickelt er Blatt für Blatt seine eigene Technik.
Die Zeichnung diente Gerhard Marcks in erster Linie als Hilfsmittel für die plastische Arbeit. In der Regel während Modellsitzungen entstanden, umkreisen sie auf der Suche nach der endgültigen Form in immer neuen Ansichten eine bildnerische Idee. Ein harter Bleistift ist das bevorzugte Werkzeug.
Parallel zu den Modellstudien waren Stift und Papier für Gerhard Marcks ein praktisches, leicht zu handhabendes Ausdrucksmittel, das ihn auf seinen Reisen begleitete und zu dem er auch im häuslichen Umkreis griff, um Momentaufnahmen oder Landschaftseindrücken eine bleibende Erinnerung zu verleihen.
Für seine ersten künstlerischen Versuche beschäftigte sich Gerhard Marcks intensiv mit Tieren. Bereits als Fünfzehnjähriger zeichnete er tagelang im Berliner Zoo. Auch heute noch überraschen diese Bleistiftzeichnungen durch die Virtuosität, mit der der Schüler einheimische wie exotische Tiere äußerst naturnah und reich an Details wiederzugeben vermochte.
Die hier geschärfte Beobachtungsgabe bildete die Voraussetzung für den großen Erfolg seiner späteren Tierplastiken. Diese suchen mit wenigen, aber sehr typischen Linien einen Ausgleich zwischen Naturvorbild und künstlerischer Reduktion. Marcks umschrieb diesen Bildfindungsprozess als „Hieroglyphe“ finden. Bis zum Ende seines Schaffens bilden Tierdarstellungen einen entscheidenden Anteil am seinem Werk.
Die Landschaft gehört zu dem in den Jahren 1920 bis 1923 entstandenen „Dornburger Skizzenbuch“, das Gerhard Marcks seiner Frau mit dem Vers widmete: „Was das Auge sah und das Herz empfand zeichnete die Hand und nun hast du’s da“. In farbigen Stift- Feder- und Pinselzeichnungen sammelte er in ihm Eindrücke und Erlebnisse aus der Umgebung.
Teils eingeklebt, teils direkt in das Buch gezeichnet, schuf er mit dem Skizzenbuch ein liebevolles Porträt der Menschen und Landschaften an der Saale. Der Stil ist dabei keineswegs naturalistisch sondern verbindet auf eigentümliche Art und Weise abstrakte, ornamentale und auch naive Tendenzen. Wie in der Plastik war Marcks auch in diesen Landschaftsbildern um das Finden einer klaren Struktur bemüht.
1889 | Am 18. Februar als Sohn eines Kaufmanns in Berlin am Kurfürstendamm geboren |
1907 | Nach dem Abitur: Beginn der Tierstudien im Berliner Zoo; Bekanntschaft mit dem Bildhauer Richard Scheibe (1879–1964) |
1907-1912 | Hinwendung zur Bildhauerei als Autodidakt |
1914-1915 | Kriegsdienst in Flandern; Rückkehr als Schwerkranker; erste Reisen nach Paris |
1918 | Berufung an die Kunstgewerbeschule in Berlin |
1919 | Berufung an das Staatliche Bauhaus in Weimar; dort Leiter der Töpferwerkstatt in Dornburg |
1925 | Auflösung des Bauhauses in Weimar; Berufung an die Kunstgewerbeschule Burg Giebichenstein in Halle a. d. Saale |
1925-1927 | Italien-Reisen |
1928 | Erste Griechenland-Reise und Wandel der künstlerischen Auffassung |
1930 | Stellvertretender Direktor der Kunstgewerbeschule auf der Burg Giebichenstein in Halle a. d. Saale |
1933 | Entlassung aus dem Lehramt |
1937 | In der Ausstellung „Entartete Kunst“ sind Werke von Marcks vertreten; Ausstellungsverbot und Beschlagnahmung von Arbeiten in der Galerie Buchholz (Berlin) |
1943 | Vernichtung seines Ateliers in Berlin-Nikolassee; Tod eines Sohnes im Krieg |
1945 | Berufung an die Kunsthochschule in Hamburg |
1949 | Goethe-Medaille; Spanien-Reise |
1950 | Übersiedlung nach Köln-Müngersdorf; fortan als freier Bildhauer tätig; USA-Reise |
1951 | Marcks entwirft als Wahrzeichen für die Stadt Bremen die Bremer Stadtmusikanten |
1952-1955 | Reisen in Italien, Griechenland, Südafrika; zahlreiche Ehrungen und Kunstpreise; Teilnahme an der Biennale in Venedig sowie der Documenta I und II |
1963 | Reisen in die USA und nach Mexiko |
1969 | Gründung der Gerhard-Marcks-Stiftung |
1971 | Eröffnung des Gerhard-Marcks-Hauses in Bremen |
1981 | Tod am 13. November in Burgbrohl (Eifel) |